Neue Stolpersteine in Ilmenau
Gunter Demnig verlegte wieder Stolpersteine in Ilmenau
Der "Spurenleger" Gunter Demnig aus Köln kam am 6. Mai 2008 zum zweiten Mal in unsere Stadt, um den bundesweit bisher fast 15.000 Stolpersteinen 9 weitere hinzuzufügen.
Vor dem Haus von Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden dabei ca. 11 x 11 cm große Steine mit einer Messingplatte in den Boden eingelassen. Darauf lesen wir den Namen, Geburtsjahr, Zeit und Ort von Deportation und Ermordung der Menschen, die dort ihren letzten frei gewählten Wohnsitz hatten.
Passanten sollen auf ihrem Weg dort innehalten, werden veranlasst sich zu bücken, wenn sie die Aufschrift lesen wollen, sich vor den Opfern zu verneigen. Die Steine wollen anregen sich mit dem Schicksal der Menschen auseinander zu setzten, an die da erinnert wird, die an dieser Stelle aus ihrem normalen Leben gerissen wurden. Gunter Demnig sagt: "Mit dem Namen auf dem Stein erhalten sie wieder ein Gesicht. Sie bekommen ihre Würde zurück".
Es sollen Steine wider das Vergessen sein. Darüber hinaus möchten wir mahnen für die Gegenwart sowie die Zukunft, eine Sensibilität fördern gegenüber Rassismus, Antisemitismus und Intoleranz. In diesem Sinne liegen uns besonders die Jugendlichen am Herzen, die wir gewinnen wollen, sich mit dieser Thematik auseinandersetzen. So werden auch dieses Jahr wieder etliche Schüler beteiligt sein sowohl an der Verlegung als auch über Projekte und Seminararbeiten.
Wir wollen an drei Familien aus Ilmenau erinnern, die bis zu ihrer Deportation und Ermordung hier gelebt haben, die vielleicht Nachbarn unserer Eltern und Großeltern waren und die so wie wir heute gern miteinander gelebt haben. Weil sie Menschen mit jüdischem Glauben waren, galt ihr Leben für die Nationalsozialisten als "nichtarisch" und "unwert" und allein dies machte sie zu Opfern.
Insgesamt 14 Ilmenauer wurden mit dem großen Sammeltransport am 10.5.1942 von Weimar über Leipzig in das Ghetto Belzyce bei Lublin in Ostpolen verschleppt, von dem niemand zurückkehren sollte. Dieser "Sonderzug" erfasste 1.000 Menschen...
Wir erinnern in der Schwanitzstraße an Familie Münz, an Jakob Münz, seine Frau Johanna Münz und den Sohn Herbert Münz. Dort hatten Sie ihre Wohnung und das Textilgeschäft, das es zu dem Zeitpunkt nicht mehr geben sollte. Juden wurde es 1938 untersagt jedwedes Gewerbe auszuüben. Herbert musste mit 13 Jahren seine Schule verlassen - auch diese war für ihn verboten. Er war 17, als die Familie deportiert wurde und sollte wie sein Vater im KZ-Majdanek sein Leben verlieren. Johanna Münz gilt als umgekommen im Ghetto Belzyce. Eine Familie wurde ausgelöscht.
In der Friedrich-Hofmann-Straße wurden die Steine für Familie Gronner gelegt. Wir denken hier an Samuel Gronner, an seine Frau Helene Gronner geb. Sandler und an Helenes Bruder Wilhelm Sandler. Hier befand sich auch das große Bekleidungsgeschäft der Gronners. Das Ehepaar wurde ebenfalls nach Belzyce deportiert. Dort verliert sich ihre Spur, es soll der letzte überlieferte Aufenthaltsort sein. Auch für den Sohn John Gronner, der zuvor als Jugendlicher nach Palästina fliehen konnte und jetzt in den USA lebt, gilt dies als der Ort, an dem seine Eltern ermordet wurden.
Von Wilhelm Sandler, dem ursprünglichen Firmengründer und Namensgeber des Gronnerschen Geschäftes, wissen wir, dass er 1942 nach Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet wurde.
Der dritte Verlegungsort in der Bahnhofstraße 6 war bis zum 10. Mai 1942 die letzte Wohnung für Familie Ortenberger. Jenny Ortenberger geb. Frank und Witwe des Tierarztes und ehemaligen Schlachthofdirektors, ihr Sohn Erich Ortenberger und ihre Tochter Asta Ortenberger gehörten ebenso zu dem Sammeltransport von Weimar zum Ghetto Belzyce. Was von ihnen in den Archiven zu finden ist, wirft ein bezeichnendes Licht nicht nur auf die fürchterliche Bürokratie des Verwaltungsapparates der Nationalsozialisten, auch auf deren unglaubliche Habgier nach dem letzten Vermögen und den allerletzten Habseligkeiten der Deportierten. Die äußerst sorgfältig dokumentierten Nachweise des damaligen Thüringer Finanzministeriums sind an Zynismus kaum zu überbieten und lassen dem Leser der Akten den Atem stocken.
Zur Familie Ortenberger haben übrigens auch Schüler des Goethegymnasiums nachgeforscht. Sie suchten im Stadtarchiv, fragten nach bei den Tageszeitungen und lasen in anderen ihnen zur Verfügung stehenden Medien. Sie sprachen bei der Verlegung der Steine in der Bahnhofstraße selbst dazu.
Im letzten Jahr strebte die Arbeitsgruppe "Stolpersteine" die Zusammenarbeit mit den Schülerinnen und Schülern an, um jungen Menschen einen persönlichen Zugang zur Geschichte des Holocaust und in diesem Zusammenhang zu ihrer Stadt zu ermöglichen. Daraus entstehen nun für die Zukunft gemeinsame Pläne. Das ist "lebendiges Erinnern" für die Jugendlichen und auch für uns Erwachsene in der Arbeitsgruppe.
Es ist nun an uns Erwachsenen (nicht nur der kleinen Arbeitsgruppe "Stolpersteine"), die Heranwachsenden bei ihrer Spurensuche nach der Vergangenheit zu bestärken und dabei ihrer berechtigten Neugier nach heutigen politischen Entscheidungen nachzukommen und ihnen offen zu antworten.
Das Stolperstein-Projekt wird über Spendenbeiträge finanziert, mit denen äußerst sparsam umgegangen wird und ist auf Zuwendungen aus der Bevölkerung angewiesen. Wir würden uns somit sehr über jegliche Unterstützung freuen. Zu den Kosten sei vermerkt, dass Herr Demnig für die Verlegung eines Steines 95.- € erhält. Für den Fall, dass es auch Ihnen ein Bedürfnis sein sollte, uns mit einer Spende zu unterstützen: Sparkasse Arnstadt-Ilmenau, Kto. 1120000412, Stadtverwaltung Ilmenau, Verwendungszweck: Stolpersteine.
Die Arbeitsgruppe macht darüber hinaus darauf aufmerksam, dass sie dankbar ist um jeden (!) Beitrag, der als Bild der Erinnerung Geschichte lebendig macht und ein kleiner Baustein zu ihren Nachforschungen sein kann. Auf Wunsch werden solche Mitteilungen natürlich auch vertraulich behandelt.
Text: Ute Bach, Hanne Nastoll, Arbeitsgruppe "Stolpersteine"; Fotos: Stadtverwaltung Ilmenau